Schadstoffe

Sie verletzen meinen Luftraum

Animation: Stefanie Vogl
Animation von Aerosolen

Wir stehen noch unter der Herrschaft der Technikgläubigkeit. Unser gesunder Menschenverstand windet sich wie in einem Käfig, und wir sollten uns ab und zu an Zeiten zurückerinnern, in denen diese Tatsache für einen Moment in mathematischer Klarheit sichtbar wurde. Vielleicht sagt Ihnen, wenn Sie die Corona-Epidemie miterlebt haben, noch an die Luca-App etwas. Die Luca-App wurde von einem Berliner Start-up entwickelt und diente in aufwühlenden Pandemie-Zeiten als Beruhigungsmittel für die Bevölkerung. Ziel der App war die Kontaktpersonennachverfolgung, um nach Auftreten einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können. Die App kam in Restaurants und andere öffentlichen Gebäuden zum Einsatz, man checkte ein, wurde getrackt, checkte aus, die Daten wurden mit Gesundheitsämtern verknüpft, die wiederum auf diese Daten zugreifen konnten, um Gäste zu kontaktieren, die möglicherweise von einem Infektionsfall an diesem Ort betroffen waren.

Viren segeln durch den Luftraum, durch Restaurants, Bars, in Supermärkten. Die Luca-App bot die Illusion von technischer Kontrolle. Sie versprach ein unsichtbares Informationsnetz quer durch die infektiöse Bevölkerung zu spannen, und die Aussicht zu wissen, dass digitale Technologie wie ein Kontakttagebuch-Backbone eine vermeintliche Sicherheit bieten würde, war dem deutschen Staat viel Geld wert. Um den Bürgern die App kostenlos zur Verfügung stellen zu können, erwarben die Bundesländer Lizenzen, die bei 13 Bundesländern nach Recherchen von Netzpolitik.org rund 20 Millionen EUR kosteten.

Die Luca-App wurde zu einem gesundheitspolitischen Irrläufer. Die Wirkung war begrenzt und die App als solche und das dahinterstehende Geschäft höchst umstritten. Zunächst einmal erfolgte der staatliche Einkauf der App ohne transparente Ausschreibung, dafür blieb wohl keine Zeit. Da aber auch die Sinnhaftigkeit des teuren Projektes immer in Frage stand, konnte man in diesen wilden Pandemietagen Zeuge einer riesigen Steuerverschwendungsorgie werden. Als die Kontaktbeschränkungen 2022 endeten, verlor die App über Nacht an Bedeutung, niemand brauchte sie mehr, die Bundesländern kündigten reihenweise ihre Verträge mit dem Hersteller. Der Rest der Start-up-Story ist schnell erzählt: nachdem die Luca-Gründer auf einmal alle ihre Kunden los waren, wandelten sie ihr Geschäftsmodell in ein Buchungssystem für Restaurantbesuche um. Immerhin war dieser Turnaround privaten Investoren im Jahr 2024 einiges wert, die ganze 40 Millionen Euro in das zuvor staatlich subventionierte Unternehmen drückten. Damit hatten die Luca-Gründer 60 Millionen Euro innerhalb von vier Jahren für Ihr Unternehmen eingeworben. Für eine App, die nur ein paar Monate im Einsatz war und mit der man heute einen Restauranttisch reservieren kann, ist das eine beachtliche Managerleistung.

Der Berliner Senat hingegen bleibt gerade (2025) auf 1,2 Millionen Euro sitzen, da die ursprüngliche Zusage des Bundes, für 18 Monate die Kosten des Luca-Systems zu übernehmen, revidiert wurde. Bis heute also ziehen sich die Konsequenzen dieses Fails wie der ewiglange Schweif eines Schlangenmenschen in unsere Gegenwart hinein. Man darf nicht fragen, was man mit dem Geld gern gemacht hätte. Oder muss man das fragen?

Feuer, Wasser, Erde, Luft

Auch wenn noch das leise Gelächter der masken- und appbeschaffenden Gesundheitsminister nachhallt, so nimmt der kritische Geist seine Rechte wieder in Anspruch. Die Corona-Pandemie, um ein allerletztes Mal darauf zurückzukommen, hat in zweierlei Hinsicht die Fragen nach gesunder Luftqualität berührt. Wer in den Jahren 2020 bis Mai 2023 von einem Zeppelin aus auf die Welt schaute, konnte, z.B. wenn er gerade deutsche Regionen überflog, ganz unterschiedliche Entdeckungen machen: ein Zoom in die Klassenzimmerfenster der dreißigtausend Schulen der Republik gab den Blick frei auf Kinder, die in ihren Reihen fünf bis sechs Unterrichtstunden unter einer Maske eingeschnürt verharren mussten. Ihnen wurde die Luft zum Atmen genommen mit der Begründung, dass die Luft in den Klassenzimmern zu schlecht sei und möglicherweise Viren übertragen könnte. Wie wir heute durch Studien (unter anderem einer internationalen Studie der Universität Stanford) wissen, konnte die tatsächliche Wirksamkeit der Kindermaskenpflicht nie mit qualitativ hochwertigen Belegen nachgewiesen werden.

Wir fliegen in schnurgerader nördlicher Richtung und überqueren ruhig einen Breitengrad nach dem anderen. Die Sicht wird ständig besser. Nun ergibt sich eine weitere Beobachtung, auch durch einen Check der Satellitendaten des Sentinel 5-P: mit weniger Produktion, weniger Verkehr und weniger Schadstoffe nehmen überraschenderweise Umweltbelastungen ab, die Luftqualität verbessert sich. Die Reduzierung von Emissionen hat natürlich immer eine Verringerung der Schadstoffe in der Luft zur Folge. Wetterbedingte Schwankungen müssen berücksichtigt werden, Wetterlagen mit geringer horizontaler und vertikaler Durchmischung der Luft fördern auch die Anreicherung von Luftschadstoffen, kräftiger Wind hingegen verteilt sie. Dennoch: Im Zeitraum des Lockdowns ging der Straßenverkehr in den Städten um 30 bis 50 % zurück mit der Folge, dass auch die an verkehrsnahen Messstationen gemessenen NO2-Konzentrationen im gleichen Zeitraum um bis zu 40 Prozent sanken. Mancherorts wurden die niedrigsten No2-Konzentrationen seit Messbeginn festgestellt. Die Natur erholte sich während des Corona-Lockdowns. Auch in China und Italien ging die Luftvermutzung zurück.

Erdsystemwissenschaft

Luftverschmutzung ist eine der größten Gesundheitsgefahren unserer Zeit, sie ist nur unsichtbar. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben jährlich etwa sieben Millionen Menschen weltweit an den Folgen von verschmutzter Luft. Besonders gefährdet sind Kinder, Menschen mit Vorerkrankungen und ältere Menschen. Mit zunehmendem Alter wird das Immunsystem schwächer, und die Lunge verliert an Elastizität. Laut einer Veröffentlichung der National Library of Medicine (NLM) nimmt die Fähigkeit des Immunsystems, Infektionen und Entzündungen zu bekämpfen, mit dem Alter ab. Dies macht ältere Menschen anfälliger für Krankheiten, insbesondere solche, die durch Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung ausgelöst werden. Zusätzlich zeigt eine Studie der American Lung Association, dass die Lungenfunktion mit zunehmendem Alter abnimmt, da die Elastizität des Lungengewebes nachlässt und die Atemwege anfälliger für Reizstoffe werden.

Man hätte gern das Steuergeld, das für die Luca-App ausgegeben wurde, in langfristigen luftreinigenden Maßnahmen investiert gesehen. Vielleicht auch für Maßnahmen, die mit den Mitteln der Natur arbeiten.

Moosfilter wie die des Dresdner Unternehmens CityBreeze kombinieren Technologie mit der natürlichen Filterkraft von Moosen. Moose sind wahre Wunderwerke der Natur: Sie können Schadstoffe aus der Luft filtern und gleichzeitig Sauerstoff produzieren. Laut einer Studie der Universität Bonn können Moose bis zu 20-mal mehr Feinstaub binden als herkömmliche Pflanzen. Die Forscher betonen, dass die große Oberfläche der Moosblättchen und ihre elektrostatische Ladung eine entscheidende Rolle bei der Bindung von Feinstaubpartikeln spielen. In den multifunktionalen Luftfilterwänden werden die natürlichen Fähigkeiten der Luftfilterung und -kühlung mit moderner Technologie ergänzt, um die Luftqualität in Städten zu verbessern. Ob diese Luftfilter, die sich im öffentlichen Raum mit Werbetafeln verbinden, allerdings zu einer tatsächlichen Verbesserung der Luftqualität führen, bleibt noch zu beweisen.

Einen anderen Ansatz verfolgt das Berliner Unternehmen Solaga. Hier geht es um Algen. 2015 trafen sich Benjamin Herzog und Johann Bauernfeind zum ersten mal in einer Forschungsgruppe für synthetische Biologie an der Technischen Universität Berlin. Johann Bauernfeind, der eigentlich Life Science Engineering an der HTW Berlin studierte, startete damals das erste Berliner Team an der TU, das an einem der bedeutendsten Wettwerbe der synthetischen Biologie teilnahm. Benjamin Herzog, der nach seinem Juraabschluss noch einen Master in Molecular Life Sciences an der Humboldt-Universität zu Berlin absolvierte, arbeitete schon seit längerem mit filamentösen Cyanobakterien. Der Ansatz der beiden war es, einen Biofilmreaktor zu entwerfen, der auf der Basis von Algen die Stadtluft reinigen kann. Oder zumindest die Luft in Arbeitsräumen. Der biologische Luftreiniger aus Mikroalgen, der wie ein Bild an die Wand gehängt werden kann, nutzt die Effekte lebender Mikroalgen-Biofilme. Die Algen durchlaufen die Photosynthese: durch die Verdunstung von Wasser entsteht eine natürliche Zirkulation, die das Raumklima verbessert. Die Algen binden und zersetzen Schadstoffe. Im Gegensatz zu Moosen, so die Gründer, überzeuge das Algenbild durch eine wesentlich effizientere Filterleistung. Algen benötigten keinen Boden zum Überleben, sondern sind in der Lage, ihre Nährstoffe aus der Luft zu gewinnen. Die Filterleistung eines Algenbildes reiche aus, so das Versprechen von Solaga, um einen mittelgroßen Raum, bei dem die Sauerstoffkonzentration bereits deutlich unter 20% gefallen ist, unterhalb der gesundheitsschädlichen Grenzwerte zu reinigen.

Der in Berlin lebende Designer Timo Wuchner entwickelte die Installation KUR, die von den wenigen erhaltenen Gradierwerken inspiriert war, die sich noch im deutschen und polnischen Raum finden lassen. Ein Gradierwerk ist erst mal nichts anderes als ein mit Reisig belegtes Holzgerüst. Früher waren Gradierwerke auch als Salinen bekannt und wurden in den vergangenen Jahrhunderten zur Salzgewinnung aus Sole verwendet. Die geförderte Sole wird gleichmäßig über die gesamte Anlage gerieselt und rinnt an den feinen Verästelungen des Schwarzdorns herunter. Dort bilden sich kleinste Tröpfchen, sogenannte Aerosole. Während das Wasser bei dem Prozess verdunstet, bleibt das Salz erhalten. Der Salzgehalt in der Luft steigt. Mit etwa 20 % Salzgehalt ist die maximale Konzentration erreicht.

Die Funktionsweise ist bis heute, zum Beispiel im Gradierwerk der Naturtherme Templin, gleich geblieben. Allerdings werden Gradierwerke heute nicht mehr zur Salzgewinnung eingesetzt, sondern sind oft in Kurorten zu finden, wo sie zu Heilzwecken betrieben werden. Sie wirken quasi wie die salzige Meeresluft und bietet ein gesundes Reizklima. Durch die feine Zerstäubung von Salz in der Luft, entsteht mit Hilfe des Gradierwerks ein Mikroklima, das dem am Meer sehr ähnlich ist. Befinden Sie sich also in der Nähe eines solchen Gradierwerks oder spazieren hindurch, atmen Sie automatisch die gesunde salzige Luft ein. Diese wirkt entspannend und kann Erkrankungen der Atemwege und der Haut vorbeugen. Da Timo Wuchner in der Nähe einer solchen Kurstadt (Bad Nauheim) groß geworden ist, stolperte er über diese sehr merkwürdigen Bauten und entwickelte die Idee, sich mit der Schönheit der Bauten und ihrer Materialität auseinanderzusetzen und sie in einen heutigen Kontext zu setzen. Sein Ansatz war es, ein Modul zu entwickeln, dass die ländliche Kultur der heilenden Luft direkt in die Stadt bringt. Es blieb bei einer Design-Installation, aber die Idee einer Stadt, die an verteilten Punkten mit Salinen-Fassaden die Luftqualität in Schach hält, ist charmant.

Politische Maßnahmenbündel

Leitungswasser filtern, Luft reinigen: es ist klar, dass Wasser und Luft nachträglich gereinigt werden können, wenn die Verunreinigung schon eingetreten ist. Ebenso wichtig wäre es, schon zu Beginn des Verschmutzungskreislaufes einzugreifen. Als einzige Möglichkeit, um die Luftqualität generell und von Anbeginn zu verbessern, verbleiben Maßnahmen, die Emissionen aus Verkehr, Industrie und Wohnen reduzieren. Einen Grund für die Politik, hier zu handeln, gäbe es aber nicht, so Salina Saha unlängst im „Freitag“, solange für Feinstaub wie PM2,5 lediglich ein Jahresmittelwert zähle und die gesundheitsgefährdenden Tage im Winter problemlos durch den Sommer ausgeglichen werden könnten.

Die EU hat im Rahmen ihres „Green Deal“ zwar auf die neuen Richtwerte der WHO reagiert – dennoch vermisst man ganzheitliche und wegweisende Konzepte, die im Sinne einer Zonenplanung umfassende städtische oder regionale Bezüge ausfweisen. Natürlich kann jedes Individuum ohne jemandes Erlaubnis Initiativen ergreifen und U-Bahn fahren und einzelne Start-ups können Luftfilter unterschiedlicher biologischer Provinienz anbieten – das Problem der Luftverschmutzung läßt sich aber nicht lösen, indem die Politik es auf die private Ebene verschiebt. Wer in der Nähe einer Industrieanlage lebt, dem hilft auch ein Luftfilter nicht und wer in den verkehrsbefahrenen Innenstädten flaniert, der kann zwar die U-Bahn nehmen, lebt aber dennoch nicht in einer gesünderen Umwelt. Die Lebensgrundlagen – Energie, Wasser, Erde, Luft – können nur in Gesamtzusammenhängen gelöst werden. Man wünschte sich, es müsste nicht erst der Handlungsdruck einer Pandemie daherkommen, um präventive Maßnahmenpläne einzuleiten. Das Universum ist eine sich regenerierende und transformierende organische Maschine, erzählte schon R. Buckminster Fuller, und es mag im globalen Rahmen schwierig sein, die ganze Welt zu verbessern – aber die Natur, das Wasser, Luft und Erde erholen sich auch regional.

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