Im Februar 2022, also kurz nachdem der russische Überfall auf die Ukraine erfolgte, hatte Māris Upenieks das schreckliche Gefühl, etwas tun zu müssen. „Ich wusste sofort, dass ich handeln wollte, aber ich fühlte mich so verwirrt, dass mir nichts wirklich Konstruktives in den Sinn kam“.

Dem lettischen Kreativdirektor, der lange Zeit für die Werbeagengtur MOOZ in Riga für Kunden wie Mitsubishi, McDonald’s, LiveRiga gearbeitet hatte, kitzelte es in den Fingern, als er ohnmächtig die russische Invasion von Lettland aus beobachten musste. Dann hatte er eine Idee. Warum nicht die ukrainische Armee durch Geldspenden unterstützen? Ihnen geben, was am Nötigsten ist?

Start-up-Idee zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte

Die Idee hinter Stopify war geboren und ist ganz einfach – es bietet die Möglichkeit, eine monatliche Spende ab knapp sieben Euro zu abonnieren. Es ist ein kleiner und erschwinglicher Betrag, aber er kann einen großen Unterschied machen, wenn er mit Tausenden multipliziert wird. Die gespendeten Mittel werden verwendet, um wichtige Ausrüstung für die Streitkräfte der Ukraine zu kaufen, um das Land in seinem Kampf zu unterstützen.

Die Idee, Geldspenden ins Gewand eines Streamingdienstes zu verpacken, nährte sich aus dem Erfahrungen aus der Covid-Zeit: Hatten sich damals nicht Streaming-Dienste wie Netflix und Spotifiy größter Beliebtheit erfreut? Was wäre, fragte sich Upenieks, der von New Eastern Europe portraitiert wurde, wenn wir für dieselbe geringe monatliche Gebühr Spenden an die Ukraine streamen könnten, anstatt endlos Filme und Serien zu schauen?

Zusammen mit der Digitalagentur Cube entwickelte Upenieks eine Webplattform, die dann auch optisch sehr an Netflix und anderen Streamingdiensten erinnert: man blickt auf Fotos, die aussehen, als würden sie die neusten Actionfilm-Zugänge der Plattform vorstellen, dabei handelt es sich Ausrüstung, die die ukrainsichen Streitkräfte dringend benötigen.

Unter dem Claim „Viel Action – kein Vergnügen“ wird das ganze Arsenal benötigter Geräte gezeigt, und man kann gewissermaßen selbst auswählen, ob man durch seine Donation gern lieber die Anschaffung von Nachtsichtgeräten, Dronen, optischen Visieren, Wärmebildkameras oder vielleicht doch lieber Quads oder Helme unterstützt. Jedes Tool wird kurz erklärt.

Die Kämpfe in Frontnähe sind brutal, heißt es auf Stopify – das Leben der Menschen hier ist besonders fragil. Ukrainische Verteidiger können jederzeit nicht nur einen direkten Treffer eines Projektils oder einer Scharfschützenkugel, sondern auch durch Trümmer einer Raketenexplosion oder die Ruinen einstürzender Gebäude bedroht werden. Deshalb ist es wichtig, hochwertige Schutzwesten und Helme bereitzustellen. Das passende Rating der Dringlichkeit gibt’s dazu. Helme haben 9 von 10 Punkte, militärische Stiefel 10 von 10, Metalldetektoren 8 von 10.

Über den Tarif „Stopify Regular“ kann man den Spendenbetrag von 6,99 EUR auf 14,99 Eur erhöhen. Auf verlinkten Instagram-Seiten zeigen Fotos, wo die Warenlieferungen hinkommen.

Das Konzept scheint erfolgreich zu sein. In etwas mehr als zwei Jahren hat Stopify 195 Drohnen; 21 große Fahrzeuge wie Jeeps, Lieferwagen und Pickups; 21 weitere Fahrzeuge wie Quads, Boote und Motorräder; 237 Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras; 178 tragbare Generatoren; und über 2.500 andere Gegenstände, darunter Metalldetektoren, taktische Stiefel und Kleidung, medizinische Versorgung und andere.

Nach Eigenaussage von Stopify werden die eintreffenden Gelder, die aus 50 Ländern kommen, nicht für den Kauf von Waffen oder Munition verwendet.

Unterstützung, Tausch oder Selbsttäuschung?

Für Upenieks ist ein Stopify-Abonnement eine Möglichkeit, selbst aktiv zu werden, um der Ukraine aktiv zu helfen. Es hat keinen Sinn, wird der Gründer in New Eastern Europe zitiert, ein passives Opfer der Ereignisse zu sein, die nur Nachrichten verfolgen, aber nichts unternehmen. Kleine Dinge zählen, man kann ein aktiver Bürger sein und etwas tun.

Die Instagramreels zeigen Geschichten, bei denen Fahrzeuge, die über Stopify besorgt wurden, das Leben verwundeteter Soldaten retten konnten. Die über 10.000 Abonnenten brachten so immerhin über 2 Millionen Euro auf das Konto der Plattform. Die Zusammenarbeit mit der bekannten Non-Profit-Organisation Ziedot.lv, ebenfalls mit Sitz in Riga, sichert die Unternehmung ab, auch hilft die Botschaft der Ukraine in Lettland, in dem sie über die Bedürfnisse der Truppe informiert und regelmäßig Feedback  zur Verwendung von gespendeten Gütern auf dem Schlachtfeld gibt.

Stopify ist eine elegant pragmatische Idee – mit allen Fragen, die solche Systeme mitsichbringen. Der Kulturtheoretiker Martin Burckhardt stellte schon in seinen „Metamorphosen von Raum und Zeit“ den fluiden Charakter der Geldflüsse fest. Das Geld, schrieb er, das zuvor der Nennwert eies Hauses war, könnte in Gedanken seine Form verändern: es könnte sich zu einem Bild, einer seltenen Briefmarke oder zu etwas ganz und gar Namenlosen umformen. Das Geld, das ich besitze, hat seine Herkunft ausgelöscht; es ist weiss geworden. Reine Möglichkeitsform. Genaugenommen habe ich mich, schon in dem Augenblick, an dem ich mich für den Verkauf von Eigentum entschied (und damit für eine Art Lösegeld), für das Vergessen entschieden. Ich klebe nicht an den Dingen, ich habe Interesse daran, dass es nicht nutzlos herumliegt, sondern könnte es für mich arbeiten lassen. Das Geld, so Burkardt, erspart meine Gegenwart, es ist ein Raumspeicher, dass jemand anderes an einem anderen Ort etwas für mich erledigt.

Die Spende bei Stopify ist ein Hilfsmittel, das ein Problem lösen soll. Die Abonnenten erhalten nichts im Gegenzug der Plattform außer dem Gefühl, etwas getan zu haben. Ob sich so die personell am Krieg unbeteiligte Spenderschaft von Verantwortung womöglich freikauft, ist eine andere Debatte, generell sind Spenden, die ihren Zweck erfüllen, wünschenswert.

Stopify zeigt die Chancen von Online-Fundraising: Sie können Millionen Spendengelder aus aller Welt für gute Zwecke einsammeln, vielleicht aber auch, wenn Motive politisch oder religiös extremistischer Natur sind, für Zwecke, die stärkerer Kontrolle unterliegen müssten. Die Entwicklungen der Künstlischen Intelligenz bringen hier noch eine ganz andere Flanke ins Spiel. KI wird zum Beispiel bereits bei der Datenerhebung eingesetzt. Die Personalisierung beginnt mit Daten. Gemeinnützige Organisationen, die ihre CRM-Systeme verwenden, um Spenderpräferenzen, Veranstaltungsteilnahme und Spendenverlauf zu verfolgen, können maßgeschneiderte Appelle erstellen, die Resonanz finden. Der Großteil der Non-Profits haben keine formalen Richtlinien für den KI-Einsatz. Dadurch entsteht eine Art „Shadow AI“, bei der Mitarbeitende Tools eigeninitiativ und ohne strategische Einbettung nutzen. Die Risiken — von Datenschutzverletzungen bis hin zu ungewollten Verzerrungen — könnten unbemerkt bleiben.

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