Cambridge

Das letzte Workout

Was Sie alles nicht tun müssen
Portrait von Venki Ramakrishnan
Foto: Kate Joyce, Santa Fe Institute

Es hilft nicht, die notwendige Wahrheit zu verschleiern: wir sterben alle. Die einen früher, die anderen später. Ein Blick auf die Statistik zeigt zunächst eine beruhigende Kurve: Die Lebenserwartung steigt in Deutschland, nach den Corona-Einbrüchen 2020 bis 2022, endlich wieder leicht an. Ebenso stieg der Anteil der Menschen, die mindestens 100 Jahre alt sind, von 13.400 im Jahr 2011 auf 16.800 (im Jahr 2022, dem Zeitpunkt des letzten Zensus).

Es gibt also Hoffnung, dass wir es doch ins hohe Alter schaffen können. Lebensumstände spielen natürlich eine Rolle: Ärmere sterben früher als Reiche, unter spanischen Orangenbäumen haben Männer eine Lebenserwartung von 84 Jahren, Frauen von 86, während in Deutschland Männer im Schnitt 78 Jahre alt werden, Frauen 83. Wenn Sie in Nigeria geboren wurden und leben, verkürzt sich diese Aussicht auf gerade einmal 54 Jahre.

Der stichprobenartige Blick auf prominente Schauspieler, Sportler oder Politiker zeigt, dass die letzten Lebenskapitel sehr individuell verlaufen. Die Japanerin Tanaka Kane starb 2022 mit 119 Jahren. Der „Alte“, der Schauspieler Rolf Schimpf, wurde 100 Jahre alt. Die 100 zu überschreiten ist biologisch möglich, aber ein so seltener Glücksfall wie ein Rosengarten in der Wüste. Werden Bücher – wie die des Influencers Luke Jaque-Rodney – mit Titeln wie „100 werden“ vermarktet, ist ein Maximalziel angesprochen. Immerhin wurden in den letzten zwei Jahren einige Zeitgenossen über 90 Jahre alt, z.B. Gene Hackman, Jean-Marie Le Pen, Gerhard Baum, Bernhard Vogel oder Richard Chamberlain. Der Papst Franziskus verfehlte die Neunzig knapp und starb unlängst mit 88 Jahren. Auch die Schauspieler Horst Janson und Hans Peter Korff sowie der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler verabschiedeten sich in ihren Achtzigern. Franz Beckenbauer, David Lynch und George Forman lagen in den Siebzigern.

Wenn Menschen in ihrem sechsten Lebensjahrzent sterben, wird man schon nachdenklicher. Andreas Brehme, der Fußballheld, wurde 63, der amerikanische Schauspieler Val Kilmer starb unlängst mit 65. Wenn das Leben dann noch früher endet, wie das der Rosenstolz-Sängerin AnNa R. (55 Jahre), spricht man von einem tragischen Schicksal. Und wer sich in ein besonderes Lebensrisiko begibt wie Alexej Nawalny muss mit einem frühen Tod mit nur 47 Jahren rechnen (was Nawalny übrigens auch tat).

Nicht zu sprechen ist von allen, die eines unnatürlichen Todes sterben. Das Durchschnittsalter ukrainischer Soldaten liegt bei 35 Jahren. Das Durchschnittsalter der getöteten russischen Soldaten lag 2024 bei 38 Jahren. Genaue Zahlen kennt man nicht, aber Beobachter gehen von ca. 800.000 getöteten russischen Soldaten und 600.000 – 700.000 getöteten oder verwundeten ukrainischen Soldaten aus. Pro Tag sterben wohl, wenn man dem ukrainischen Generalstab Glauben schenken darf, rund 1.500 Soldaten allein auf russischer Seite.

Diese Menschen werden früh aus ihrem Leben gerissen. Und auch Jugendliche und Kinder sterben: In Deutschland sind es rund vier von 1.000 Kindern. 150 Kinder sterben pro Jahr an Unfällen. Die Zahlen von UNICEF in Bezug auf die weltweite Kindersterblichkeit liegen weitaus höher: Weltweit sterben pro Tag 13.000 Kinder, 550 Kinder pro Stunde. Wenn Sie diese Zeile lesen, verlieren gerade neun Kinder ihr Leben. Immerhin ist die Kindersterblichkeit weltweit unter die Marke von fünf Millionen gefallen.

Nicht diese Kinder und auch nicht die Soldaten, die sich gerade im Schützengraben in Charkiw gegenüberliegen, machen sich Gedanken über Anti-Aging oder die Frage, mit welchen Ernährungshacks sie ein möglichst langes Leben führen könnten. Sie sind dem Schicksal ausgeliefert wie ein menschliches Embryo, das in unterirdischen Wasserfällen dahintreibt. Alle anderen, die noch das Glück haben, über ihre kleinen, alltäglichen Konflikte und Besorgnisse nachdenken zu dürfen, sind die Zielgruppe der Anti-Aging-Industrie.

Wir werden bald für immer leben

Eingestanden oder uneingestanden, bewusst oder unbewusst, im Grunde will jeder Mensch jünger erscheinen und länger leben. Von dieser Hoffnung finanziert sich die Anti-Aging-Industrie. Das Geschäft mit Longevity-Angeboten, die mit dem Versprechen der gesunden Langlebigkeit werben, boomt: jährlich werden weltweit 115 Milliarden Dollar für Anti-Aging-Produkte ausgegeben – und diese Zahl umfasst nur die Kosmetik. Hinzu kommen die Pillen, Bio-Serummasken, Kältekammern, Infusionen, SPAs und Retreats, Ärzte für plastische Chirurgie, Floating- sowie andere Wellness-Angebote. Dass das gesamte Instagram-Universum aus Ratgeber-Persönlichkeiten besteht, die immer wieder neue Kniffe der Selbstoptimierung entdecken und vermarkten, beweist die überbordende Kreativität der menschlichen Spezies. Die Nachfrage ist da. Auch der menschliche Körper ist eine riesige Stadt, mit Arbeitervierteln, Markthallen und Palästen.

Publizistik und Verlage spielen das Spiel mit. In den Buchhandlungen übertreffen die Regalwände der Anti-Aging-Literatur bereits alle anderen Themengebiete, und die Titel hämmern sich mit einfachen Heilsversprechen in die Aufmerksamkeit der wankelmütigen Leserschaft.

Der Klett-Cotta Verlag hat unlängst einen weiteren Beitrag zur Debatte beigesteuert in Form der Publikation „Warum wir sterben“ von Venki Ramakrishnan. Das Buch des britisch-indisch-amerikanischen Ribosomforschers und Nobelpreisträgers ist intelligent und vielschichtig. Wer „Warum wir sterben“ zur Hand nimmt, hofft darauf, die Ursachen des Todes besser verstehen zu können – um länger zu leben. Ist Unsterblichkeit also, einst schwache Hoffnung, jetzt greifbar für uns? Die Botschaft des Forschers aus Cambridge ist eine andere: Nein, alle Lösungen, die uns die Anti-Aging-Industrie auf ihren Marktständen ausbreitet, bewirken nicht viel bis gar nichts. Vor unseren Augen spielt sich ein Kampf um den Königsweg zur Langlebigkeit ab, und Venki Ramakrishnans neues Buch ist in Wahrheit ein Aufruf zur Desertation.

Zellen, Proteine und Mitochondrien

Bevor Ramakrishnan zu den Exempeln der absoluten Revolte gegen den Tod Stellung nimmt, zerrt er uns auf den Boden der biochemischen Tatsachen. Zur Erinnerung: Die klassische Definition des Todes wird allgemein im irreversiblen Stillstand von Kreislauf und Atmung gesehen sowie dem Hirntod, also einem Zustand, indem alle Lebensfunktionen erloschen sind. Der Unterschied der Medizin, die vom biologischen Tod, bei dem kein Herzschlag mehr nachweisbar ist, und dem Hirntod unterscheidet, bei dem Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm komplett und für immer ausfallen, ist uns für unsere vorliegende Betrachtung egal – wer gut leben will, dem kann es gleich sein, ob er den Herztod noch eine kurze Weile bis zum Totalausfalls seines Gehirns überlebt. Hier geht ja auch nicht um den Tod als solchen, sondern um die Zeit davor, in der man sich noch fragen kann, wie man gesund alt wird.

Diese Fragestellung existierte eigentlich schon immer. Doch erst in den letzten 50 Jahren haben die Befunde der modernen Biologie zu einer explosionsartigen Zunahme unserer Kenntnisse über die Vorgänge der Alterung geführt. Viele dieser Erkenntnisse führen zur Molekularbiologie.

So ähnlich wie bei Staatsgebilden der Zusammenbruch von Gesetz und Ordnung zu Chaos, Hungersnot und ggf. der Vernichtung ganzer Städte führt, kann auch der biologische Kontrollverlust, z.B. das Fehlverhalten von Zellen im Falle von Krebs, zu Krankheiten, Verfall und Tod führen. Die Anti-Aging-Wissenschaft konzentriert sich auf diesen biologischen Kontrollverlust, dessen Ursache häufig in Mutationen der Gene liegt, die auf Veränderungen in der DNA zurückgehen. Unsere DNA ist im ganz normalen Leben ständigen Angriffen ausgesetzt, kommen Umwelteinflüsse wie Strahlung oder Chemikalien hinzu, sind diese Wirkungen verheerender. Daher kreist vieles um die Frage, ob unser Organismus die angegriffene DNA reparieren kann oder nicht. Je effizienter die Reparatur beschädigter DNA, desto stärker widerstehen wir der Alterung. Die DNA bestimmt aber nicht allein über unser Schicksal. Zellen, die unter geringfügig unterschiedlichen Umständen leben, können auch unterschiedliche Gene ausbilden und verschiedene Wege einschlagen, um die diversen Gewebe im Organismus zu bilden. Man kann also davon ausgehen, so Ramakrishnan, dass sich im genetischen Programm der Zellen abhängig von der Umwelt eine dauerhafte Veränderung abspielt. Diese Erforschung solcher Veränderungen, die Epigenetik, ist eine zweite Steuerungsebene oberhalb unserer Gene.

An diesem Punkt erhebt sich die Frage, ob wir einfach weiter schicksalsergeben dahinschlittern müssen oder ob wir die Zügel unserer Longevity selbst in die Hand nehmen können. Dass umweltbedingte Faktoren bei der Alterung eine Rolle spielen, ist mittlerweile unbestritten. Manch einer sieht mit 50 schon alt aus, andere wirken mit 80 bemerkenswert jugendlich. Bereits die Zwillingsforschung zeigte, dass Menschen biologisch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit altern. Es ist noch nicht erforscht, ob diese epigenetischen Veränderungen vorprogrammiert sind oder zufällig entstehen. Untersuchungen mit eineiigen Zwillingen haben aber gezeigt, dass die epigenetischen Veränderungen in ihrer DNA von Anfang an unterschiedlich waren, obwohl sie im Wesentlichen die gleiche DNA-Sequenz besaßen.

Ramakrishnan steigt in die Tiefen der Molekularbiologie hinab, und man folgt ihm gern durch die gewölbeartigen Befunde seines Instituts in Cambridge. Am Ende führt alles immer wieder zur menschlichen Zelle. Diese ist nicht nur ein Sack voller Proteine, sondern enthält alles, große Strukturen und ganze Organellen, die harmonisch zusammenwirken müssen. Warum und wann solche Beziehungen auseinanderbrechen, was letztlich zum Tod führt, ist die Frage an der vordersten Front der Altersforschung. Mitochondrien spielen dabei eine Schlüsselrolle. Jede Zelle enthält zahlreiche Mitochondrien, die wie Energieumwandler wirken: sie nehmen z.B. die Kohlenhydrate, die wir essen und wandeln diese in die allgemeine Energiewährung der Zelle um, Moleküle einer Verbindung namens Adenosintrphosphat (ATP). Wenn die Mitochondrien nicht in einem gewissen Mindestumfang funktionieren, sterben wir. Der Hirntod auf dem elektrisch betriebenen Klinikbett, das mit Komponenten wie Seitensicherung, Notfallhebeln oder Bettverlängerungen heute der nüchterne und hauptsächliche Ort des Sterbens ist, das Himmelbett unserer Finalphase – diesem Hirntod auf dem Klinikbett geht eine Situation voraus, bei dem die Mitochodrien in unserem Gehirngewebe nicht mehr genügend ATP produzieren, mit dem die Neuronen funktionieren können.

Cocktail-Party in der Blue Zone

In der Folge arbeitet sich Ramakrishnan an den diversen Hoffnungstechnologien ab, mit denen Menschen versuchen, ihr Leben zu verlängern. Da wäre mal der Versuch, durch Blutaustausch (Parabiose) der sinkenden Zahl der Stammzellen entgegenzuwirken. Der Nachweis von Alterungsfaktoren im Blut ist heute ein wichtiges Forschungsgebiet, und die Aussicht, durch Bluttransfusionen dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, ist nur eine unter vielen exzentrischen Ideen. Der amerikanische E-Commerce-Milliardär Bryan Johnson zieht in seinem persönlichen Hobby-Vorhaben „Project Blueprint“ alle Register. Er gibt jährlich über zwei Millionen US-Dollar für seine Gesundheit aus, schluckt 100 Pillen am Tag und hält sich an ein strenges Diät- und Trainingsregime, um sein Leben zu verlängern. Johnson unterzog sich auch einer Reihe Bluttransfusionen, wobei sein Sohn als Spender für eine der Transfusionen fungierte. Überzeugt davon, dass der Tod ein „technisches Problem ist, das lösbar sei“, lässt er von einem Mitarbeiterteam seine Gesundheitsdaten tagesaktuell überprüfen, außerdem unterhält er ein Archiv von 33000 Bildern von seinem Darm. Auf X lieferte sich Johnson eine Auseinandersetzung mit Elon Musk, nachdem dieser einem Post zugestimmt hatte, der behauptete, dass Johnson „viel besser aussah, bevor er anfing, zwei Millionen Dollar pro Jahr für seinen Körper auszugeben“.

Was ist mit den Kryonikern? In Kryonik-Einrichtungen wie der „Alcor Life Extension“ aus Arizona geht es darum, Zell- und Gewebe einzufrieren, genauer: für Summen um die 30.000 Dollar ganze Kundinnen und Kunden unmittelbar nach ihrem Tod einfrieren zu lassen. Ziel ist es, sie später wieder aufzutauen, wenn es für alles, woran sie vielleicht gelitten haben, eine Heilung gibt. Dieses Einfrieren klappt tatsächlich bei Tierembryonen. Biologen können also ihren Lieblingswurm als Larve einfrieren und später problemlos wiederbeleben. Doch beim Menschen gibt es, so der Nobelpreisträger Ramakrishnan, nicht den Hauch eines glaubwürdigen Anhaltspunktes dafür, dass die Kryokonservierung jemals funktionieren wird.

Der Wissenschaftler steigt auf der Leiter der Plausibilität ein wenig höher und landet bei Aubrey de Grey, einem britischer Bioinformatiker, der einen klaren Plan zur Erhöhung der Lebenserwartung ausgeknobelt hat. Dieser besteht im Wesentlichen aus folgenden Schritten: (1) dem Ersatz von geschädigten Zellen, (2) der Beseitigung seneszenter (alternder) Zellen, (3) der Verhütung der altersbedingten Versteifung der zellumgebenden Strukturen, (4) der Verhütung der Mutation von Mitochondrien, (5) der Wiederherstellung von Elastizität der Stützstrukturen, (6) und der Klärung der Frage, wie man Stammzellen so umgestalten kann, dass unsere Zellen nicht verkümmern.

Auch wenn an den beschriebenen Ansatzpunkten zurecht geforscht werden muss, lehnt die seriöse Wissenschaft de Grey mit seinem selbstüberschätzenden Optimismus ab; da das Problem der Alterung, hieß es in einer vergnüglichen Parodie im MIT Technology Review, nun gelöst sei, könne sich de Grey ja anderen Aufgaben zuwenden, zum Beispiel der Frage, fliegende Schweine zu erzeugen. Jedenfalls bietet auch de Grey keinen bislang unentdeckten Pfad zur Unsterblichkeit.

»Das Machtungleichgewicht zugunsten der Alten ist ein Problem.«

Daher, fasst Ramakrishnan den Stand der Forschung zusammen, Fakten auf den Tisch: Selbst wenn man alle altersbedingten Todesursachen beseitigen könnte, würde das die Lebenserwartung um nicht mehr als maximal 15 Jahre verlängern. Ewiges Leben gibt es nicht, alles andere ist Science Fiction. Antioxidantien sind gesundheitlich nutzbringend, wirken sich aber kaum auf den Alterungsprozess aus. Hormonpräparate bringen nichts. Kalorienbeschränkung könnte die Lebensdauer etwas verlängern, bewiesen wurde das aber noch nie. Fortschritte beim Klonen und in der Stammzellenforschung dürften den Ersatz von Organen möglich machen, aber das Gehirn wird dadurch nicht neuprogrammiert. Wir alle haben das Ziel, jung zu sterben – nach langer Zeit. Aber das Ziel erreichen wir nur, so die Quintessenz der Forschung, in der Symbiose von wissenschaftlichem Fortschritt, sozialverträglichem Umfeld und gesunder Lebensführung. Für unsere Lebensdauer besteht eine natürliche Obergrenze von 120 Jahren, und die Frage ist, welche Jahre wir bei guter Gesundheit, welche bei schlechterer Gesundheit verbringen bzw. ob wir es schaffen, eine Kompression der Morbidität zu erreichen. Für Ramakrishnan ist diese Wette, inwieweit Menschen bis ins hohe Alter ein gesundes Leben führen können, grundsätzlich offen. Da derzeit Staaten und Privatunternehmen viel Geld in die Altersforschung investierten, könne sich erst in 10 oder 20 Jahren wirklich abzeichnen, ob und in welchem Umfang diese Bestrebungen Erfolg haben werden. Wie beim Durchbruch der Covid-Impfstoffe wird sich in Zukunft einiges tun, aber nicht jedes Mittelchen und auch keine Bluttransfusion wird die Sterblichkeit aufhalten. So sehr wir uns über wissenschaftliche Erfolge freuen, müssten wir uns auch vergegenwärtigen, dass selbst nach Jahrzehnten der Krebsbekämpfung das Krebsproblem noch nicht gelöst sei.

Zum Schluss wird der britische Nobelpreisträger politisch. Denn eigentlich, so der wahrscheinlich wichtigste Hinweis des Buches, geht es gar nicht um die Frage, wie wir für uns noch ein paar gesunde Jahre herausholen. Die entscheidende Frage ist, was passiert, wenn es der Wissenschaft tatsächlich gelingt, die Alterung zu bekämpfen und die Morbidität zu komprimieren. Was geschieht mit einer Gesellschaft, in der die Menschen über das 100. Lebensjahr hinaus gesund bleiben?

Ramakrishnan ist sich im Klaren darüber, dass diese alternde Gesellschaft tiefgreifende, unvorhersehbare Folgen haben wird. In manchen Ländern dürfte es in Zukunft doppelt so viele Menschen im Ruhestand geben wie Arbeitskräfte, die die Kosten der medizinischen Versorgung erwirtschaften. Soziale Ungleichheit verschärft sich: eine Zwei-Klassen-Gesellschaft sei absehbar mit denjenigen, die sich Gesundheit leisten könnten und jenen, die sie sich nicht leisten können. Berufslaufbahnen müssten verlängert werden. Das wiederum würde bedeuten, dass die älteren Kohorten noch stärker überrepräsentiert wären, in Politik, in Gremien, in Unternehmen, wobei es doch die jungen Leute seien, die auf die Welt mit frischen Augen blickten.

Das Machtungleichgewicht zugunsten der Alten ist ein Problem. In der Generationengerechtigkeit sieht Ramakrishnan eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Sich den gesellschaftlichen Dimensionen der Alterung zu widmen, ist nach Einschätzung des Nobelpreisträgers die eigentliche wichtige und komplexe Aufgabe, die ansteht. Denn die Antwort auf die Frage, wie wir als Individuen gut und lange leben können, ist nach Ramakrishnan schnell geliefert. Vergessen Sie Anti-Aging. Essen Sie naturbelassene Nahrung, nicht zu viel und überwiegend Pflanzen, bewegen Sie sich und sorgen Sie für tiefen, erholsamen Schlaf. Das ist alles, was Sie tun müssen. Sie benötigen keine 2 Millionen Dollar, um lange zu leben. Die haben die Hundertjährigen, die es ja gab und gibt, auch nie gehabt.

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