Collage mit Donald Trump und Soldaten

Zum 1. Mai zogen tausende protestierende Menschen gegen die Regierung von Donald Trump vor das Weisse Haus. Bernie Sanders ergriff das Mikrofon, Gewerkschaftler und andere linksgerichtete Aktivistengruppen. Die Proteste waren eine Fortsetzung der „Hands Off Democracy“-Kundgebungen, die es bereits im April in verschiedenen Teilen des Landes gab. War das nun endlich die Initialzündung für die große zivigesellschaftliche Empörung in den USA?

Nein. Auch wenn CNN und andere Medien von „tausenden Demonstranten“ sprechen – bei Licht besehen waren diese Kundgebungen kaum größer als andere traditionelle Mai-Protestmärsche. In die bunte Anti-Trump-Szene, zu denen vor allem jede Minderheiten stoßen, die von Trumps Dekreten betroffen sind, mischen sich auch Demonstranten gegen den GAZA-Krieg, pro Abtreibung, pro Immigration und andere Gruppen. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung und zu dem, was auf dem Spiel steht, sind diese Proteste nicht wirklich groß. Man kann jedenfalls nicht behaupten, dass sich halb Amerika gegen seinen Präsidenten stellt.

Wenn Trump das Justizministerium entwertet und damit die Rechtsstaatlichkeit angreift oder ganz offen Macht mißbraucht – all diese sich selbst überholenden Tatsachen schienen nur wenige US-Amerikaner zu erschrecken, unabhängig von ihrer politischen Überzeugung. Trump gelang beileibe nicht alles, aber es wirkte auch nicht so, als würde er in seinem schrittweisen Umbau der Institutionen ernsthaft durch irgendjemanden gestört werden. Hier und da wurden Zeichen gesetzt, wie die des demokratischen Politikers Cory Booker, der mit seiner Endlosrede (25 Stunden) gegen Donald Trump ankämpfte, doch die Revolte blieb aus. Die Opposition ist schwach, der Senat kann seine Kontrollfunktion nicht wahrnehmen und die Mid-Term-Wahlen im kommenden Jahr liegen in weiter Ferne.

Dachten alle bis Anfang Juni. Danach brachen sich plötzlich die Proteste in L.A. ihren Bann. Bei den Protesten gegen die Migrationspolitik von US-Präsident Donald Trump wurde hunderte Menschen festgenommen, die Nationalgarde und 700 Marinesoldaten wurde eingesetzt und ging resolut gegen die Demonstranten vor;  Trump erwägt nun die Aktivierung des „Insurrection Act“, um Militäreinsätze bei den Protesten ermöglichen.

Auf einer amerikanischen Blogger-Plattform, bei der man lange Zeit nicht immer wusste, ob sie nicht aus vollständig KI-generierten Inhalten besteht, kursiert seit kurzem ein spekulativer Text, der – von einem anonymen Autor veröffentlicht – einen Schritt weiterdenkt, nämlich: Was passiert eigentlich mit Amerika, wenn Trump und seine Quaterbacks, wonach es aussieht, ihren konsequenten und durchdachten Putsch-Plan in die Realität umsetzen? Was dann?

Ende der Demokratie: Das ist der Ablauf

Was sich hier vor den Augen der amerikanischen Bevölkerung abspielt wie ein Theaterstück hat ein amerikanischer anonymer Blogger, der sich Aletheisthenes nennt (abgeleitet von griech: aletheia, Wahrheit, Aufrichtigkeit) im April diesen Jahres bereits vorausgesehen. So entfaltete er den Putsch-Plan, das Drehbuch für den Demokratie-Abbau, dem Trump zu folgen scheint, in folgenden Schritten:

Schritt 1 – Widerstand nimmt zu
Linke Kräfte sind alarmiert und organisieren landesweit friedliche Proteste, an der sich jede Woche mehr Menschen beteiligen. Alles das kommt für die Strategen der Trump-Regierung nicht überraschend. Sie wollen die Demonstranten als Werkzeug benutzen und warten nur auf eine starke Reaktion.

Schritt 2 – „False-Flag“: Proteste werden zu „Terror“ umformatiert
Proteste werden schnell gewalttätig, womöglich auch deshalb, weil sie von Agent Provocateurs aus Milizengruppen wie den Proud Boys infiltriert wurden, deren Ziel es ist, die Lage so schnell wie möglich zu eskalieren und Trump und seiner Kabale einen Vorwand zu liefern, die nächste Stufe einzuleiten. Es könnte zu Attentaten kommen und spektakulären Gewalttaten, die jedenfalls ein rigoroses Vorgehen rechtfertigen würden: nun wäre der Zeitpunkt gekommen, um im Namen der öffentlichen Ordnung Recht und Kontrolle wiederherzustellen. Parallel dazu würden die Medien ihre Leser mit Bildern des Chaos überfluten, die jedes Vorgehen legitimieren.

Schritt 3 – Trump verhängt erweitertes Kriegsrecht
Trump hat sich bereits auf den Insurrection Act berufen – und verhängt jetzt ein noch umfassenderes und repressiveres Kriegsrecht. Er beordert Truppen in die großen US-Städte, in denen er am stärksten von Widerstand geplagt wird, und brandmarkt Demonstranten und Gegner als „Aufrührer“, „Verräter“ und „woke Mob“. Er wird „gute Amerikaner“ dazu aufrufen, wie die Patrioten von 1776 zu ihren Waffen zu greifen und sich den Milizen anzuschließen, die sich formieren, um „die Ordnung wiederherzustellen“ und die Kontrolle von der linken Bedrohung zurückzugewinnen. Der Einsatz von Milizen hilft ihm auch, dem Widerstand von Militärführern zu entgehen, die sich seinen Befehlen widersetzen könnten.

Schritt 4 – Massenverhaftungen von Oppositionsführern
Journalisten, demokratische Amtsträger und Aktivisten werden unter dem Vorwurf der Volksverhetzung, des Terrorismus oder der „Anstiftung zur Gewalt“ verhaftet. Kritiker wie Mark Milley, Liz Cheyney und Adam Kinzinger werden schnell und mit großem Medienecho festgesetzt. Die Dauer der Schauprozesse ist wahrscheinlich ein gutes Maß dafür, wie viel Kontrolle Trump über die Gerichte erlangt hat. Um sicherzustellen, dass es auf Bundesstaatsebene keinen Widerstand gibt, werden als Erstes wichtige demokratische Gouverneure und Generalstaatsanwälte abgesetzt.

Schritt 5 – Militär und Nationalgarde übernehmen Großstädte
In Washington, D.C., New York, Chicago, Los Angeles, Philadelphia und anderen Hochburgen der demokratischen Staaten sind Einsätze zu erwarten. Es werden Ausgangssperren und Lockdowns verhängt, gerechtfertigt als Maßnahmen zur „Wiederherstellung des Friedens“. Kontrollpunkte und Militärpolizei werden zur neuen Normalität. Sie werden insbesondere entlang der Hauptverkehrsstraßen nach Kanada oder Mexiko sowie in den republikanischen Bundesstaaten eingesetzt, um Aufrührer, Verräter und Menschen mit fragwürdiger Loyalität zu identifizieren und festzunehmen. Trumps Bau von Internierungslagern in Guantanamo und die Erweiterung der 106 weiteren ICE-Haftanstalten waren eigentlich nicht für illegale Einwanderer gedacht. Erst vor wenigen Tagen bot Blackwater-Gründer und Milliardär Erik Prince Trump seine Unterstützung bei der „Privatisierung von Abschiebelagern“ an, wie es bereits mit Gefängnissen gemäß Trumps Executive Order vom ersten Tag des Jahres geschehen ist. Trump verfügt nun über einen außergerichtlichen Ort, um Illoyale und Widerstandskämpfer in gewinnorientierten Lagern unterzubringen, die von Milizen und loyalen Militärangehörigen bewacht werden.

Schritt 6 – Prozesszensur und totale Medienkontrolle
Unabhängige Nachrichtenagenturen werden mit Schließungen konfrontiert sein. Wer sich dagegen wehrt, muss mit Verhaftungen oder Schikanen seiner Journalisten rechnen.

Die Mainstream-Medien werden zur Einhaltung der offiziellen Linie gezwungen (wie es schon heute geschieht). Erpressung, Druck seitens der Konzerne und rechtliche Drohungen werden dafür sorgen, dass sie sich beugen. Soziale Medienplattformen wie X (Twitter) verstärken die offizielle Darstellung und übertönen den Widerstand. Andere soziale Medien und Kommunikationskanäle werden abgeschaltet. Das Internet wird überwacht, und die dadurch identifizierten Personen werden mithilfe der Palantir-Technologie verhaftet.

Schritt 7 – Grenzen schließen
Kritikern und Gegnern werden die Pässe entzogen. Wer auf einer Liste steht, darf nicht gehen. Vor allem nicht, wenn man im Wehrpflichtalter ist. Die Flugverbotslisten werden um Aktivisten und Journalisten erweitert. ICE und DHS werden als Waffen eingesetzt – nicht nur gegen Einwanderer, sondern auch gegen politische Feinde.

Schritt 8 – Wahlen werden auf unbestimmte Zeit „verschoben“
Die Zwischenwahlen 2026 werden unter dem Vorwand nationaler Sicherheitsbedenken ausgesetzt.

Die Parlamente der republikanischen Bundesstaaten werden die demokratisch geprägten Wahlkreise abschaffen und so eine dauerhafte Kontrolle der Republikaner sicherstellen. Bis 2028 wird Trump (oder sein handverlesener Nachfolger) ohne Gegenkandidaten antreten. Wahlen werden dann nur noch Formsache sein und wahrscheinlich trotzdem stattfinden. Allerdings manipuliert. Trumps jüngst geäußerter Vorstoß, ggf. eine dritte Amtszeit in Erwägung zu ziehen, kann bereits als Vorwegnahme des 8. Schrittes, interpretiert werden.

Strategeme eines Elitenprojektes

Es ist heutzutage gar nicht unwahrscheinlich, dass der anonyme Text tatsächlich von einer KI hätte geschrieben werden können, eine KI, die verschiedene Playbooks autokratischer Machtübernahmen nebeneinandergelegt und auf die USA anwendet hat. Aletheisthenes schließt mit dem Verweis darauf, dass diese Schritte aber keine Spekulation seien, sondern eine bereits detailliert angelegte Strategie der Heritage Foundation.

In diesen Tagen wird man Zeuge davon, dass bereits einige dieser Vorhersagen eingetroffen sind. 

Sichtbar waren bis vor kurzem vor allem die sorgfältig geplanten öffentlichen Inszenierungen: wer mittlerweile als Staatsgast ins Oval Office kommt, muss damit rechnen, vorgeführt zu werden. Wie unlängst beim Südafrikanischen Präsidenten Ramaphosa geschehen – als vor versammelter Weltpresse der Raum plötzlich abgedunkelt wurde und eine kinoreife Filmpräsentation beginnt, die den Gast bloßstellt (ob zurecht oder unrecht sei dahingestellt). Das Oval Office, das ohnehin Bühne ist, wird zum Tribunal. Was wirksam ist oder sein könnte, zählt.

Während diese unterhaltsamen Auftritte laufen, kommt es im Inneren in den Steuer-, Umwelt- und Gesundheitsbehörden, im Pentagon und anderen Ministerien zu Massenentlassungen. Umweltauflagen werden zurückgefahren, Sozial- und Gesundheitsausgaben drastisch gesenkt. Die Entwicklungsagentur USAID und andere Behörden wurden zerschlagen – gegen die gängige Rechtsauffassung, dass dazu erst der US-Kongress befragt werden muss.

Nun die nächste Stufe: Gegen Opposition wird Militär eingesetzt. 

Kritische Beobachter in den USA sind sich einig, dass all dies mehr ist als ein normaler politischer Kurswechsel. Sie sehen die Gefahr eines antidemokratischen Staatsumbaus ganz real: Anne Applebaum hat unlängst im „Atlantic“ den Weg Amerikas in ungarische Verhältnisse beschrieben. Das Modell „Orbán “, genauergesagt das Modell der autokratischen Machtübernahme, die auf der rechtsgerichteten Konferenz CPAC in Budapest vorbereitet wurde, gilt als Inspiration und Vorbild für die Trumpisten. Sie sei genau das, so Applebaum, was Steve Bannon oder Kevin Roberts von der Heritage Foundation in den USA umsetzen wollten. Wie hatte es Orbán angestellt? Nach seiner Wiederwahl 2010 ersetzte er nach und nach Beamte durch loyale Mitstreiter, zerstörte die Pressefreiheit durch wirtschaftlichen Druck und Regulierung, beraubte Universitäten ihrer Unabhängigkeit, politisierte das Gerichtssystem und änderte wiederholt die Verfassung, um sich Wahlvorteile zu verschaffen. Während der Corona-Epidemie erteilte er sich Notstandsvollmachten, die seitdem nicht wieder abgeschafft wurden.

Der konservative amerikanische Journalist David B. Brooks empfindet, ebenfalls im „Atlantic“, „moralische Scham“ angesichts des Niedergangs seiner eigenen Nation. Er analysiert, dass der Trumpismus durch eine Mischung aus Narzissmus und Nihilismus entstanden ist, wie eine toxische Säure, die jedes Glaubenssystem zerfresse, mit dem sie in Berührung komme. Der zentrale, alleinige Grundsatz dieses Trump-Cocktails sei die ungezügelte Gier nach weltlicher Macht. Der langjährige Kommentator für die New York Times weiss, wovon er spricht: Er hatte über Jahrzehnte (und hat immer noch) Zugang zu den konservativen Power-Zirkeln, auch zu den reaktionären Kräften, die sich um den Dartmouth Review scharten, einer elitären rechtsgerichteten Zeitung. Doch hat er sie allesamt unterschätzt. Brooks sieht genau, dass das reaktionär-christliche Trump-Amerika nur vordergründig ein proletarisches ist.

»Man muss also in Europa Abstand nehmen von der etwas überheblichen Auffassung, man hätte es nur mit einer pubertierenden, dümmlichen Boygroup zu tun.«

Lovis Auerbach

Zwar hat Trump als MAGA-Populist im Wahlkampf mit dem Groll der Arbeiterklasse gewonnen, doch agiert er als elitärer Unternehmer von Palm Beach. Trump und Elon Musk sind Milliadäre, die an der University of Pennsylvania studiert haben. J.D. Vance studierte an der Yale Law School. Pete Hegseth in Princton und Harvard. Vivek Ramaswamy (ein Unternehmer, der ursprünglich mit Musk in die Kommission zur Deregulierung kommen sollte) studierte in Yale und Harvard, der Trump-Berater Stephen Miller an der Duke University. Viele von Trumps DOGE-Mitarbeitern kommen von Elite-Institutionen. Man muss also in Europa Abstand nehmen von der – gerade in Deutschland noch gern vorgetragenen – etwas überheblichen Auffassung, man hätte es nur mit einer pubertierenden, dümmlichen Boygroup zu tun.

Wir finden uns in einer Weltordnung wieder, die ab sofort noch stärker von Interessen als von Werten geprägt sein wird. Die Beispiele China und Russland zeigen, dass eine funktionierende, eingespielte Führung, in der politische und wirtschaftliche Eliten zusammenfinden, sich durchaus lange Jahre, mitunter Jahrzehnte, an der Macht halten kann. Die Konsequenz für Europa darf folglich nicht nur eine reflexhafte Forderung nach neuer Eigenständigkeit der EU sein, vor allem im militärischen Sektor, auch nicht nur die Forderung nach mentaler Emanzipation von Amerika. Das Hauptaugenmerk muss sich auf die Frage richten: Wie kann eine heute eine Staatskunst aussehen, bei der langfristige Strategien für die gesamte, aber nicht besonders große restliche demokratische Welt entwickelt werden? Wie können Pragmatismus, Realismus mit Humanismus, Gewaltenteilung und Respekt so verbunden werden, dass das im globalen Maßstab funktioniert? Von der Lösung dieser Frage ist Europa noch weit entfernt. Aber daran kann ja gearbeitet werden.

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